Schreiben in Zeiten des Wandels

Transformative Prozesse sind nicht immer angenehm. Sie brechen häufig wie Stürme über uns ein. Ob gewollt oder nicht, wenn Zeiten des Wandels anstehen, müssen wir wichtige Entscheidungen fällen, reagieren, handeln. Manchmal muss man unmittelbar etwas tun, besonders wenn die Situation ernst ist. Und genau in diesen Momenten kommt es oft vor, dass einem die Luft ausgeht. Wie im Nebel, in eine Starre verfallen, wissen wir nicht mehr weiter, wie handeln und wohin das alles führen soll.

„Wenn Zeiten des Wandels anstehen, müssen wir wichtige Entscheidungen fällen, reagieren, handeln. Und genau in diesen Momenten kommt es oft vor, dass uns die Luft ausgeht.“

Im „Nebel“, soweit steht fest, sind komplizierte Zeiten auf eine gewisse Weise einfacher oder leichter zu ertragen. Die Starre schützt die Psyche, wenn auch auf eine unangenehme Art. Eine normale Reaktion des Körpers, um dem situativen Druck standzuhalten. Doch was tun, wenn man sich in einem solchen Prozess der Veränderung befindet? Wie verliert man sich nicht im Tornado der Transformation?

Ein lang erprobtes und stets wirksames Mittel für mich (und sicher für viele von uns): Stift und Papier. Und nicht nur – auch das weiße Blatt eines Word-Dokuments. Ach was, eine Serviette, eine vergilbte Seite aus dem alten Schulblock, im Grunde ist es ganz egal. Das Schreiben ist eine mächtige, befreiende Kraft, die den Nebel im Kopf und die Starre im Körper auf das Papier leitet und so unsere Ängste, Wünsche und Ideen kristallisiert, einen Überblick verschafft, eine bessere Sicht schenkt.

©Polina Goldberg

Im besten Fall bessert sich die Situation bereits nach einer Schreibprobe, der Druck gibt nach. Doch in den meisten Fällen bedarf es einiger Geduld. Eine Yoga-Stunde bringt uns ebenfalls eine kurzzeitige Zufriedenheit und vielleicht einen Wow-Effekt, doch eine kontinuierliche Entwicklung kommt mit der Zeit und beständiger Yoga-Praxis.

„Viele schreiben kaum und wenn, dann berufliche E-Mails, Protokolle, Berichte. Befreiung verspürt man damit eher nicht, außer bei Abgabe.“

Wo fängt man an? Wie geht man es an, besonders wenn es eine ungewohnte, neue Tätigkeit ist? Einige von uns würden gern schreiben, haben aber Berührungsängste. Viele schreiben kaum und wenn, dann berufliche E-Mails, Protokolle, Berichte. Befreiung verspürt man damit eher nicht, außer bei Abgabe. Der negative Beigeschmack entwickelt sich oft noch in der Schule, als die Aufsätze benotet wurden. Wenn Worte, die vom Herzen kamen, ein kritisches Auge bewertete. Wenn man schreiben musste. Daraus kann eine Abneigung, wenn nicht eine Aversion wachsen.

©Polina Goldberg

Dabei ist es so: Jeder, der schreiben kann, kann auch schreiben. Wäre da nur nicht der innere Zensor, der uns diese Tätigkeit mit seiner ausgeklügelten Kritik schwer macht. Silke Heimes, Professorin für Journalistik und Gründerin des Instituts für kreatives und therapeutisches Schreiben (IKUTS), nimmt im Interview mit Spektrum.de jegliche Angst vor Banalitäten und Floskeln: „Das ist eine Wertung, die sich für mich im kreativen und therapeutischen Schreiben verbietet. Jeder bringt das zum Ausdruck, was für ihn in diesem Augenblick wichtig, richtig und möglich ist, und ich finde, dass genau das Wertschätzung verdient.”

„Jeder kann schreiben. Wäre da nur nicht der innere Zensor, der uns diese Tätigkeit mit seiner ausgeklügelten Kritik schwer macht.“

Aus meiner persönlichen Erfahrung weiß ich übrigens eines genau. Das Wissen ist immer da. Selbst bei stärkstem Nebel und unangenehmster Starre spüre ich, was ich tun kann und wie ich handeln möchte. Das Schreiben ist für mich so effizient, weil es diese natürlichen, intuitiven Gefühle wie ein Katalysator ans Licht bringt, bevor sie in der Schublade meines Unbewussten liegen bleiben und die Angst ihre Wellen darüber rollt.

©Polina Goldberg